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Du musst doch nur fabulieren: Vorurteile gegenüber der Phantastik

Schreibtisch

Es ist immer wieder witzig, welchen Vorurteilen man begegnet, wenn man sich als Autor:in im Bereich der Phantastik bewegt. 
Sätze wie

"Du musst doch nur fabulieren. Autor:innen, die sich beim Erzählen in der Realität bewegen, müssen viel mehr recherchieren."

oder 
"Das ist dann aber keine besonders hochwertige Literatur."

prägen überwiegend das Bild, das viele sich von Phantastikautor:innen machen.

Letztere Behauptung ist bereits so oft diskutiert und durch zahlreiche großartige Autor:innen widerlegt worden, dass ich nur kopfschüttelnd einen Artikel der Berner Zeitung zitieren möchte, in der es u.a. um die Fantasy-Elemente in dem Roman "Der begrabene Riese" des Literaturnobelpreisträgers Kazuo Ishiguro oder "American Gods" von Neil Gaiman geht. https://www.bernerzeitung.ch/kultur/buecher/eine-lanze-fuer-die-drachen/story/15358081 (*) Wertige Literatur nur aufgrund beispielsweise des Auftauchens eines Drachen in einer Erzählung auszuschließen, ist lächerlich und ärgert mich, weil
1. ich phantastische Literatur liebe und
2. es hier meines Erachtens wie in jedem anderen Genre schlechte, durchschnittliche, gute und herausragende Werke gibt. Auch Shakespeares Sommernachtstraum oder Kafkas Verwandlung können als phantastische Werke angesehen werden, ohne dass ihnen die Wertigkeit abgesprochen wird.

«Falls die Literatur magische Wesen aussortieren will», sagte Ishiguro dem «Guardian», «stelle ich mich auf die Seite der Oger und Kobolde.»
Recht hat er!

Recherche oder Fabulieren?
Hier kann ich euch von meinen persönlichen Erfahrungen berichten. Eine eigene phantastische Welt zu erschaffen, die in sich schlüssig ist, stellt ein hartes Stück Arbeit dar.

Ich schreibe derzeit an der Jugendbuchdystopie Elbendunkel, in der Fantasywesen auftauchen. Konkret beinhaltet meine Recherche

1. Science Fiction Elemente: Wie stelle ich mir die Welt aus gesellschaftlicher, politischer, technologischer und wirtschaftlicher Sicht im Jahre 2044 vor?

2. Urban Fantasy Elemente: Wie integriere ich Gestalten der Phantastik in eine moderne urbane Welt? Welche Konflikte ergeben sich daraus für beide Seiten?

3. Welche Elemente der realen, uns heute bekannten Welt, übernehme ich in diese Zukunftsvision?

Ein Beispiel: 

Nehmen wir einmal an, einige Feen, Kobolde oder Zwerge verirren sich in unsere Menschenwelt.
Diese Wesen stammen nicht aus einem schwarzen Loch. Sie haben natürlich eine eigene Kultur und Sprache. Nun haben die wenigsten von uns das Know-how und die Geduld eines Herrn Tolkien, ihnen eine eigene Sprache zu erschaffen. Aber wir können einzelne Aspekte ihrer Kultur einfließen lassen. Woran glauben sie? Wie sah bislang in ihrer Welt ihr Alltag aus? Stelle ich Kobolde als Atheisten dar, wäre es ein grober Schnitzer sie mit vermenschlichter Sprache im nächsten Augenblick "Oh mein Gott! Er wird das nicht überleben!" ausrufen zu lassen. Ausdrücke, die eindeutig dem menschlichen Kulturkreis zuzuordnen sind, müssen generell vermieden oder ersetzt werden.
Fantastische Wesen werden sich auch nicht ohne weiteres in unsere Welt integrieren. Es kommt zu einem Kulturclash. Wie sieht der aus? Wie reagieren die Menschen auf die fremdartigen Wesen und umgekehrt? Was ist mit Kindern von z.B. Feenwesen, die in der Menschenwelt geboren werden und die nun gewissermaßen zwischen den Kulturen stehen? Gibt es gemeinsame Kinder von Menschen und fantastischen Wesen?

All diese Aspekte zu erdenken und in ein logisch stimmiges Gerüst zu bringen, ist unheimlich faszinierend und spannend, aber auch aufwendig. Sie machen für mich den Reiz der Phantastik aus. Das "Fabulieren" erleichtert daher die Schreib- oder Recherchearbeit keineswegs, macht sie oft sogar komplizierter.

Wie seht ihr das? Sind euch auch bereits Vorurteile dieser oder anderer Art bezüglich der Phantastik bzw. dem Genre Fantasy begegnet? 

 

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